5 + 1 Frage an Tom Noeding, Community Manager von evangelisch.de

Ende 2007, als ich den endgültigen Entschluss gefasst hatte, meinen Job zu kündigen und mich wieder komplett dem Thema Community Management zu widmen, war ich auf der Suche nach interessanten Kontakten in der Community Manager-Szene im Rhein-Main Gebiet. Mein erster „Treffer“ auf der intensiven Suche war Tom Noeding, der damals den Communitystammtisch 2.0 in Frankfurt gerade wieder ins Leben gerufen hatte. Knapp 3 Jahre später haben wir (gemeinsam mit Silke, Linda und Mark) den Bundesverband Community Management ins Leben gerufen, Tom ist im wahrsten Sinne des Wortes Community-Evangelist geworden und ich habe die Organisation des Communitystammtisch 2.0 von Tom geerbt. Ein Interview im Rahmen der Reihe „5 + 1 Frage an…“ ist also mehr als überfällig…

Wie immer der Hinweis: Zusätzliche Fragen an den Interviewpartner können natürlich gerne wieder über die Kommentarfunktion gestellt werden.

Stell dich bitte kurz vor: Was machst du beruflich, was machst du privat?
Seit April 2009 arbeite ich als Community Manager in Festanstellung für das neue Publikumsportal der EKD (www.evangelisch.de). Mein Privatleben dreht sich fast ausnahmslos um die Familie. Frau und Kind halten mich ordentlich auf Trab… und das ist auch gut so 😉

Wie bist du zum Thema Community Management gekommen und was war dein erster Berührungspunkt mit den vielgerühmten „Social Networks“?

Bis zum Community Management war es für mich ein langer Weg. Wie viele meiner Altersgenossen waren Mailboxsysteme meine „Einstiegsdroge“. Die Details würden schnell den Rahmen sprengen, deshalb hier mal nur die wichtigsten Tags:

  • fido.net
  • BTX (Chatten im BTX-Deutsch = Tickern)
  • Teledialog & Geschlossene Benutzergruppen (GBG)
  • Compuserve
  • Usenet
  • Mailinglisten

Mailinglisten habe ich Mitte bis Ende der Neunziger einige moderiert. Die Bekannteste war „tresurbain“. Darin ging es hauptsächlich um lokale, subkulturelle Veranstaltungshinweise und Partyreviews aus Frankfurt und Umgebung, stets gewürzt mit einer gehörigen Portion Gossip.

Was ist für dich persönlich Community Management?
Die Tatsache, dass ich sehr lange über diese Antwort nachgegrübelt habe, beweist mir dass es darauf keine einfache/n Antwort/en gibt. Grob formuliert, umfasst Community Management alle Bereiche von der Planung/Konzeption über das Projektmanagement während der technischen Realisierung bis hin zur Gewinnung und Betreuung der Mitglieder sowie die dauerhafte inhaltliche und technische Weiterentwicklung der Plattform. Das klingt im ersten Moment recht simpel doch verbirgt sich hinter jedem einzelnen Aspekt eine Vielzahl an sehr spezifischen Aufgaben und Anforderungen, welche obendrein nicht isoliert betrachtet werden dürfen. Um diesen Umstand etwas zu verdeutlichen hatte ich vor einiger Zeit mal diese „7 Rollen (Leben) des Community Managers“ formuliert:

  1. Der CM als Marketer (Mitgliedergewinnung, SEO, SMO etc.)
  2. Der CM als Kontakter (Interne Zusammenarbeit mit Technik, Marketing, Geschäftsleitung usw.)
  3. Der CM als Spin Doctor (PR & Öffentlichkeitsarbeit, Speaking Engagements)
  4. Der CM als Teilnehmer (Mitmachen, Zuhören, Teilhaben am Community-Alltag)
  5. Der CM als Organisator (Messen, Events, Seminare, Roadshows, Mitgliedertreffen etc.)
  6. Der CM als Führungskraft (Erfolgreiches Teamwork)
  7. Der CM als Moderator (Gruppen, Foren, Chats, Mailinglisten, externe Sites)

Anhand dieser „7 Hüte“ erhält man durchaus eine gewisse Vorstellung dessen, was Community Management heute leisten muss. Und dabei ist diese Aufzählung keineswegs vollständig. So rückt beispielsweise das Thema „Kennzahlen und Erfolgsmessung von Communities“ aktuell immer stärker in den Vordergrund. Es führt kein Weg mehr daran vorbei: Ein Community Manager muss seine Zahlen kennen. Sie liefern die Grundlage für Zielvereinbarungen, die Höhe von Budgets und machen eine Erfolgskontrolle überhaupt erst möglich. Mir ist bewusst, dass viele Community Manager gerade mit diesem Punkt Schwierigkeiten haben. Uns allen muss jedoch klar sein, dass unsere Arbeit am Ende des Tages weniger anhand von „weichen“ Faktoren wie Mitgliederzufriedenheit bewertet wird, sondern eben an diesen konkret messbaren Kennzahlen.

Was war dein größtes Highlight in Verbindung mit dem Thema Community Management?
Die acht Monate beim US-Startup MOLI.com in 2008 waren für mich eine extrem spannende Zeit, an die ich selbst heute gelegentlich noch etwas wehmütig zurückdenke. Bei den Amerikanern habe ich gelernt, dass im Community-Business letztlich alles möglich ist – im positiven und negativen Sinne. In unserer Branche lernt man nie aus und vorallem gibt es in Bezug auf persönliche Karrierechancen nach oben hin keine Grenzen. Es lohnt sich in jedem Fall, auch mal über den deutschen Tellerrand hinauszuschauen. Mag der Community-Hype auch vorbei sein, so sollte uns dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass in den kommenden Jahren gerade grössere, international aufgestellte Firmen und Organisationen (NGO’s, Verbände, Religionsgemeinschaften etc.) in Communities investieren werden. Gerade in jüngster Zeit investieren beispielsweise russische Oligarchen verstärkt in Social Networks und innovative Web 2.0-Startups. Da wären wir schon bei einem weiteren „Leben“ – Der Community Manager als Broker/Trader/Investmentbanker! In diesem Punkt habe ich eine sehr klare und lebendige Vision: Die Erfolgreichsten unserer Zunft werden über kurz oder lang den Sprung auf’s internationale Parkett wagen und dort für ihre jeweiligen Aufraggeber sogenannte Community-Portfolios aufbauen und ggf. gewinnbringend veräussern. Diese strategische Vorgehensweise ist am ehesten mit der von Hedgefonds-Managern zu vergleichen, mit dem Unterschied, dass wir mit unserem Handeln sicherlich keine Finanzkrise auslösen werden. 😉

An welche Erfahrung denkst du dabei weniger gerne zurück?
Ich habe in den zurückliegenden Jahren sehr viel Lehrgeld zahlen müssen. Fast sämtliche Arbeitgeber, für die ich als Community Manager tätig war, gingen im Zuge des Dotcom-Crashs (2001) und der Finanzkrise (2008) pleite. Das war manchmal ganz schön frustrierend. Doch in der Retrospektive möchte ich diese Erfahrungen nicht missen. Überdies habe ich nach und nach aus der Not eine Tugend gemacht. Heute habe ich keine Angst mehr vor Arbeitsplatzverlust. Ich kann letztlich nur dazulernen und mit jeder neuen beruflichen Herausforderung betrete ich zugleich neues Terrain. So lange man sich selbst nichts vormacht und seinen Eigenanteil am Erfolg oder Misslingen einer Community realistisch einzuschätzen weiss, kann man eigentlich nur besser werden. Mit der Zeit entwickelt man ein solides berufliches Selbstverständnis und lernt, seinen persönlichen Marktwert zu beurteilen. Letzteres ist bei Gehaltsverhandlungen und Bewerbungsgesprächen von unschätzbarem Nutzen, denn wer sein Wunschgehalt nicht mit überzeugenden Argumenten untermauern kann, wird sich mit deutlich weniger zufrieden geben müssen oder bleibt komplett auf der Strecke.

Zusatzfrage: Welche Frage wolltest du schon immer mal in einem Interview beantworten, die dir aber noch nie gestellt worden ist

Wieviel verdienst Du? 😉

Pre-Beta Test von evangelisch.de – Community-Portal der evangelischen Kirche

Für heute hatten die Macher von evangelisch.de, dem neuen Community-Portal der evangelischen Kirche, zum Pre-Beta Test eingeladen. Vielen Dank für die Einladung, der ich gerne gefolgt bin.

Kurz vorab: Mir ist bewusst, dass Glaube ein sehr emotionales und persönliches Thema ist. Das nachfolgend Geschriebene bezieht sich ausschließlich auf den aktuellen Stand des Community-Projekts evangelisch.de und sollte in keinster Weise wertend in Bezug auf das Thema Glaube im Allgemeinen verstanden werden.

Internetaffine Test-Teilnehmer
Eingeladen waren Personen aus dem Umfeld Redaktionsmitglieder. Insgesamt eine erfreulich bunte Mischung, anhand der hohen Twitter-Quote war aber zu erkennen, dass eigentlich alle Teilnehmer zumindest unter den Begriff „internetaffin“ fallen. Ziel des Tests: Die Tester sollten erste Einblicke in die neue Plattform erhalten und diese auf Basis eines kleines Aufgabenkatalogs, vor allem in Hinblick auf Usability-Gesichtspunkte, testen.

Drei Themenschwerpunkte
Die Plattform gliedert sich aktuell in drei Themenbereiche. Einmal einen redaktionellen Teil, der Themen des aktuellen Tagesgeschehens aus einem anderen Blickwinkel beleuchten soll –  sozusagen die Nachricht hinter der Nachricht. Weiterhin gibt es einen Info-Bereich, dessen Funktion allerdings noch nicht endgültig festgelegt worden ist. Als drittes natürlich noch den Bereich Community, für den später Community Manager Tom Noeding verantwortlich sein wird. Auf diesem Bereich lag auch das Augenmerk des Usability-Tests. Auf die Veröffentlichung von Screenshots muss ich auf Wunsch der evangelisch.de-Redaktion leider verzichten.

Community-Funktionen
Die Community beinhaltet als Kernfunktionen Blogs, Kreise (im Prinzip Gruppen) und eine Funktion, die als „Lebensbuch“ bezeichnet wird. Während die ersten beiden sich weitestgehend selbst erklären, erfordert zumindest letztere eine kleine Erläuterung: Ein Lebensbuch kann man für bestimmte Anlässe anlegen, z.B. eine Hochzeit oder eine Taufe, und  diesen Lebensabschnitt dann in Form von Texten und Bildern dokumentieren.

Eingeschränkte Vernetzungsmöglichkeiten
Etwas verwundert hat mich das gänzliche Fehlen von weitergehenden Werkzeugen für die Vernetzung, wie z. B. eine „klassische“ Freundschaftsfunktion. Auch die Suche nach anderen Mitgliedern ist im Prinzip nur möglich, wenn man ein Mitglied entweder bereits kennt oder man durch eine Aktivität (z. B. einen Blogbeitrag) auf ein Mitglied aufmerksam wird. Hintergrund: Das Sammeln von Kontakten und die auf anderen Plattformen praktizierte Selbstdarstellung sollen nach Auskunft der Redaktion nicht im Vordergrund stehen und daher beschränkt werden. Ein anderer Testteilnehmer stellte dazu mit einem Augenzwinkern fest, dass die Community „also nicht für Menschenfischer gemacht sei“. Historisch gesehen könnte man die Jünger Jesu als ausgesprochene Netzwerker bezeichnen und das Thema Gemeinschaft steht auch in vielen Glaubensfragen im Vordergrund. Um so mehr stellt sich die Frage, ob durch das Weglassen von Vernetzungsfunktionen nicht ein großer Motivationsfaktor für das Engagement der Community-Mitglieder verloren geht.

Optimierungsbedarf bei Bedienbarkeit
Aus Usability-Gesichtspunkten merkt man der Plattform an, dass sie auf dem Community-Framework Drupal basiert. Die Navigation ist wenig eingängig, streckenweise sehr überladen und erstreckt sich in einzelnen Bereichen auf bis zu 6 Navigationsebenen. Eindeutig zu viel, hier wird das Team bis zum offiziellen Start am 24.09.2009 noch nachbessern (müssen). Auf Basis des status quo werden auch Community-erfahrene Mitglieder vor eine hohe Hürde gestellt, wenn sie sich aktiv beteiligen möchten. Weniger ist hier oft mehr und letztlich erfreuen sich gerade bei einer breiteren Zielgruppe einfache Bedienkonzepte (wer-kennt-wen.de, gutefrage.net, u. ä.) großer Beliebtheit. Ein weiterer Vorteil: Das Community Management Team muss langfristig weniger Fragen rund um die Bedienung der Plattform beantworten.

Zielgruppe noch unklar
Auch die künftige Zielgruppe erschließt sich aus dem aktuellen Entwicklungsstand der evangelisch.de-Community noch nicht wirklich. Auf die Nachfrage aus dem Kreis der Testteilnehmer konnte diese Frage auch  durch die evangelisch.de-Redaktion nicht abschließend beantwortet werden. M. E. sollte bei der Entwicklung eines Community-Projektes diese Frage an erster Stelle stehen. Es ist tendenziell schwierig wenn nicht gar unmöglich ein Produkt zu entwickeln, wenn ich nicht klar ist, für wen es entwickelt wird und durch welchen Zusatznutzen es sich von anderen Projekten abheben soll. Im Prinzip also genau die Fragen, die klassischerweise auch Gegenstand jedes Businessplans sind.

Motiviertes Team
Neben den genannten Kritikpunkten möchte ich aber dem Team hinter evangelisch.de ein großes Lob aussprechen. Ich habe selten in einer großen und vergleichsweise konservativen Organisation ein so offenes und motiviertes Team erlebt. Glaube ist ein sehr emotionales Thema mit einer langen Historie, was gerade bei der Entwicklung neuer und frischer Ideen und Ansätze eine echte Herausforderung darstellt. Andererseits liegt gerade hierin auch eine große Chance, ein nachhaltiges und langfristig erfolgreiches Community-Projekt zu etablieren. Wenn die noch bestehenden Anfangshürden aus dem Weg geräumt werden können, traue ich dem evangelisch.de-Team diesen Schritt zu. Ich bin definitiv gespannt, wie sich das Projekt „evangelisch.de“ weiterentwickeln und vor allem wie das Community Management gestaltet werden wird.

Weitere Eindrücke (ergänzt am 30.07.2009)