Die Wirtschaftswoche (WiWo) hat sich aktuell wieder einmal dem Thema „Soziale Netzwerke“ angenommen. Wenn ich richtig gesehen habe, zusätzlich auch in der aktuellen Printausgabe.
Aufgefallen ist mir der Artikel „Soziale Netzwerke – Die Macht der Kontakte“ von WiWo-Autor Daniel Rettig, in dem er über Kontakte als beruflichen Erfolgsfaktor schreibt. Quintessenz: „Das beste Rezept lautet Masse statt Klasse“. Interessant ist dieser Artikel weniger, weil darin gänzlich neue Erkenntnisse zu finden wären, sondern vielmehr vor dem Hintergrund, dass dieser von der WiWo stammt und nicht aus der Blogosphäre. Gerade wenn man sich regelmäßig mit Akteuren aus dem Social Media-Umfeld umgibt, ist der Blick über den Tellerrand des Mikrokosmos aus Twitter, Blogs und Co. Gold wert. Nachfolgend einige Auszüge aus dem Artikel, die ich gerne kommentieren möchte:
Der US-Informatiker Robert Metcalfe vertrat sogar die Ansicht, dass der Nutzen, den jemand aus einem Netzwerk zieht, exponentiell mit der Gesamtzahl der Mitglieder steigt. Übertragen auf unser persönliches Netzwerk bedeutet dies: Je mehr Kontakte wir haben, desto besser.
Ich persönlich bin mir sehr sehr unschlüssig über diesen Punkt. Prinzipiell gibt es m. E. drei Netzwerk-Typen:
- Der Qualitätsbewusste: bestätigt nur reale Kontakte und pflegt diese auch regelmäßig. Sprich: Besteht kein aktueller Kontakt, dann wird der Kontakt auch gelöscht.
- Der Normalo: Gesunde Mischung aus realen und virtuellen Kontakten. Kontakte werden nach Bedarf und Tagesform geschlossen und bestätigt.
- Der Sammler: Bestätigt alle Kontakte, sucht permanent neue Kontakte und läuft auf Veranstaltungen mit einem Notizblock umher, um ja keinen Namen (=Kontakt) zu verpassen. Motto: viel hilft viel.
Die Wahrscheinlichkeit einer Empfehlung ist bei realen Kontakten natürlich weitaus größer. Je mehr Kontakte ich habe, desto größer erscheint die Chance, auch von loseren Kontakten eine Empfehlung zu erhalten. Stellt sich die Frage, ob viele Kontakte „schaden“ können? Meine Einschätzung: Ja! Ich vermute stark, dass das „Schadenspotential“ davon abhängt, welcher Netzwerk-Typ mein Gegenüber ist: Der Qualitätsbewusste wird sich eher an einem Sammler stören, da er ein anderes Empfinden für den Aufbau und die Qualität von Netzwerken hat. Ob hier Chancen oder Gefahren überwiegen, muss jeder letztlich für seine in indivduelle Situation beurteilen. Und: Nicht jede Verbindung ist per se positiv. Verbindungen zu Kontakten, mit denen mein Gegenüber schlechte Erfahrungen gemacht hat, können ebenfalls kritisch bewertet werden.
Der US-Psychologe Herb Goldberg unterschied einst zwischen Nutzfreundschaften, Zweckfreundschaften und reinen Freundschaften. Erste werden nur geschlossen, wenn die Beteiligten voneinander profitieren, zweite können auch in der Freizeit entstehen, um gemeinsam Sport zu treiben. Die reine Freundschaft wiederum entspringt rein ideellen Motiven.
Vieles spricht dafür, dass dieses Trio um ein viertes Freundschaftsmotiv erweitert werden muss: die Netzwerk-Freundschaft.
Hat sich die Theorie von Goldberg tatsächlich überholt bzw. muss ergänzt werden? Ich denke nein. In meinen Augen ändert die Form der Kommunikation nichts an den eigentlichen Motiven für eine „Freundschaft“. Es mag sein, dass die Einschätzung des gegenseitigen Nutzens durch die Sozialen Netzwerke etwas verwässert worden ist. Allerdings werden so oder so auch bei einem Sammler-Typ Konktakte dann geknüpft, wenn er sich einen Nutzen davon verspricht. Und dem Gegenüber geht es genau so, sonst würde er den Kontakt nicht bestätigen. Was also soll man unter einer Netzwerk-Freundschaft verstehen?
Es geht nicht mehr darum, was man kann, sondern wen man kennt; nicht darum, was man weiß – sondern wer von einem weiß.
In dieser Form ist diese Aussage schlicht und ergreifend falsch. Wann gebe ich eine Empfehlung ab? Letztendlich nur dann, wenn ich von einer Person oder einem Produkt überzeugt bin. Empfehle ich jemanden aktiv weiter, wird dessen Leistung automatisch mit mir in Verbindung gebracht, egal ob positiv oder negativ. Es geht also letztlich natürlich auch darum, dass man etwas kann und weiß. Die Kunst besteht allerdings darin, auch die richtigen Leute zu kennen, die das Wissen über mein Können gerne und guten Gewissens mit anderen teilen.
Ähnliches gilt für Deutschland. Fast jede fünfte Führungskraft ist in sozialen Netzwerken aktiv und nutzt sie beruflich, ergab eine Forsa-Studie im Januar. Die repräsentative Umfrage belegt zudem, dass die Nutzung von beruflichen Netzwerken bei besser verdienenden Managern weiter verbreitet ist. Führungskräfte mit einem Haushaltseinkommen von über 4000 Euro sind bereits zu 28 Prozent beruflich in Online-Netzwerken aktiv.
Ah ja, ich muss gerade noch mal nachschauen, ob der Autor des WiWo-Artikels aus dem Marketing stammt… Im Umkehrschluss bedeuten diese Zahlen, dass auch 2009 noch rund 4/5 der deutschen Führungskräfte NICHT in sozialen Netzwerken aktiv sind. Dies bestätigt mein Bild, was ich von Konferenzen außerhalb des Internet-Umfelds habe. Gerade Unternehmer älteren Semesters nutzen primär oder ausschließlich ihr persönliches Offline-Netzwerk. Dies funktioniert hervorragend, da diese Kontakte ebenfalls nicht in Online-Netzwerken aktiv sind. Schaut man sich die Profile bei XING etwas genauer an, so finden sich dort bisher nur sehr wenige wirklich einflußreiche Führungskräfte. Ich bin mir sehr sicher, dass sich diese Quote über kurz oder lang zugunsten der Sozialen Netzwerke im Internet verschieben wird. Man darf aber einfach nicht die Augen davor verschließen, dass ein Großteil der Geschäfte momentan noch außerhalb der vielgerühmten Sozialen Netzwerke geschlossen werden.
Fazit
Erfreulich ist, dass das Thema „Soziale Netzwerke“ zunehmend auch Eingang in die klassischen Medien findet. Wir stehen hier aber trotz allem noch ganz am Anfang der Entwicklung. Diesbezüglich würde ich mir eine etwas kritischere Hinterfragung der Informationen und Entwicklungen wünschen. Letztlich macht genau das Qualitätsjournalismus aus.
Lieber Herr Langwasser,
zunächst einmal vielen Dank, dass Sie sich so ausführlich und größtenteils differenziert mit dem Artikel auseinandergesetzt haben. Erlauben Sie mir ein paar kurze Bemerkungen:
– „Ich persönlich bin mir sehr sehr unschlüssig über diesen Punkt. Prinzipiell gibt es m. E. drei Netzwerk-Typen.“ Zwischen Metcalfes Annahme („Je mehr Kontakte, desto besser“) und ihren 3 Netzwerk-Typen besteht aber doch gar kein Widerspruch.
– „Stellt sich die Frage, ob viele Kontakte “schaden” können? Meine Einschätzung: Ja!“ Meine Antwort: Nicht unbedingt. Sie lassen hier in Ihrer Replik den Aspekt von Herrn Granovetter gänzlich unberücksichtigt – demnach sind für berufliche Zwecke – wie es auch im Artikel steht – nicht meine engsten Freunde entscheidend. Sondern eben die losen Kontakte bzw. die so genannten schwachen Bindungen.
– „Hat sich die Theorie von Goldberg tatsächlich überholt bzw. muss ergänzt werden? Ich denke nein.“ Ich denke doch – sonst hätte ich es ja auch nicht so aufgeschrieben. Der Begriff der „Freundschaft“ erfährt durch die zahlreichen Social Networks eine völlig neue Bedeutung – ob man das jetzt gut heißen will oder nicht, steht auf einem anderen Blatt. Aber Tatsache ist doch: Es macht einen Unterschied, ob ich beispielsweise bei Xing 10 oder 1000 Kontakte habe. Ein Beispiel: Angenommen, ich bin grad mit der Uni fertig oder verliere meinen Arbeitsplatz: Die Wahrscheinlichkeit, dass ich Kontakte zu potenziellen Arbeitgebern knüpfen kann, steigt doch mit der Anzahl der Kontakte (siehe eben auch Metcalfe). Und unbestritten ist: Durch die Social Networks ist es viel leichter, zu einer großen Anzahl von Menschen Kontakt zu halten – wenn auch losen.
– „Ah ja, ich muss gerade noch mal nachschauen, ob der Autor des WiWo-Artikels aus dem Marketing stammt“ Die Mühe können Sie sich sparen…
– „Im Umkehrschluss bedeuten diese Zahlen, dass auch 2009 noch 80% der deutschen Führungskräfte NICHT in sozialen Netzwerken aktiv sind.“ Eine Korinthe, aber 100 minus 28…
– „Gerade Unternehmer älteren Semesters nutzen primär oder ausschließlich ihr persönliches Offline-Netzwerk.“ Sie sagen es: „Unternehmer älteren Semesters“. Genau das ist der springende Punkt: Für die nachfolgende Generation von Führungskräften, also die viel zitierte Generation Y, ist die Nutzung des Online-Netzwerks – siehe mein Artikel – völlig normal.
Beste Grüße,
Daniel Rettig
Ich bin kein großer Freund von Umkehrschluss-Argumentationen. Nicht jede Kausalität lässt sich beliebig umkehren. Wenn 28 Prozent der Manager heute in einem Online-Netzwerk aktiv sind, dann liegt die geringe Zahl schlicht auch daran, dass ein Großteil der älteren Generation keine Ahnung vom Internet hat oder sich diesem verweigert. Es handelt sich hierbei schließlich um eine neue Art des Netzwerkens. Zulässig wäre demnach, die Zahl von 28% mit Vorjahren zu vergleichen, um zu sehen, ob sie steigt oder fällt (sie steigt übriegens). Nicht aber der Umkehrschluss.
Dieselbe Argumentation hätte man sonst auch bei der Einführung des Fernsehers machen können: 2% der Menschen sehen bereits fern. Umkehrschluss: 98% machen was anderes, hören Radio oder lesen Bücher. Ergo: Fernsehen hat keine Zukunft. Wir wissen beide, wie sich die Television entwickelt hat…
Hallo Zusammen,
immerhin wäre das, was nun hier passiert ohne das viel beschworene Web 2.0 nicht möglich 🙂 Sowohl hier aus auch beim Online-Artikel der Wiwo finde ich die Diskussion spannend.
Das Thema Führungskräfte und Entscheider im Zusammenhang mit echten Clubs und Events, aber auch im Zusammenhang mit Communities im Netz finde ich immer wieder lustig.
Zum einen sind es nicht immer die Entscheider, die die potentiellen Auftragnehmer recherchieren, sondern oft Mitarbeiter ein paar Ebenen darunter, ich nenne sie gerne auch Gate-Keeper. Zum anderen werden aus „normalen“ Kontakten übermorgen Entscheider.
Wenn ich mir meinen Abijahrgang betrachte, dann gibt es da viele Top-Kontakte. Aber diese Kontakte, dieses Netzwerk damals als Masse statt Klasse abzutun wäre töricht gewesen.
Gruß
Thorsten Hahn
Hallo,
habe mir lange Gedanken dazu gemacht ob ich in die Diskussion wirklich mit einsteigen möchte. Ich finde den Artikel von der WiWo teilweise nicht deckend mit meiner Meinung – wobei ich sicher einige andere Punkte zu bemängeln habe:
a) Herr Hahn als Beispiel zu nehmen ist suboptimal – denn er hat sich durch seine Bankinggruppe einen Expertenstatus aufgebaut und hat deshalb soviele Kontakte. Nicht weil er „wahllos“ lose Kontakte sammelt. Als Experte ist es grundsätzlich normal relativ viele „Fans“ zu haben die natürlich auch eine Verknüpfung als Follower, Freund, Kontakt etc. eingehen.
b) Ich würde sogar behaupten das deutlich weniger als 14% der Berufstätigen die weniger als 2500€ verdienen in Online Netzwerken (beruflich) unterwegs sind. Deutlich! Ist aber auch verständlich denn wieso sollte die Dame an der Kasse in XING/Linkedin unterwegs sein? Das Sie durchaus privat Dienste wie WKW oder Co nutzt ist etwas anderes. Aber diese Statistik bezieht sich auf „beruflich“.
c) Gut 10,6 Stunden ist diese Gruppe täglich in Blogs, Foren oder Netzwerken….
Muss ich dazu noch etwas sagen? Denn täglich 10,6 Stunden in Netzwerken unterwegs sein + nochmal die Arbeitszeit + Schlafen + Leben ergibt sicherlich den 48 Stunden Tag 😉
Ich persönlich finde Qualitätskontakte auch wesentlich spannender – damit meine ich aber nicht mit Entscheidungsträgern sondern mit Personen mit denen ich wirklich auch regelmäßig in Kontakt stehe.
PS: Grundsätzlich ein guter Artikel und auch ein guter Kommentar. Beim Artikel würde ich noch eine Behauptung aufstellen: Glaube keiner Statistik die du nicht selbst gefälscht hast. Denn einige Punkte sind einfach nicht realistisch.
@Mark Ralea: Da Sie mir unterstellen, falsche Zahlen zu zitieren – zum Punkt 10,6 Stunden einfach hier klicken: http://www.lexisnexis.com/media/press-release.aspx?id=1095.asp
Herr Rettig,
ich unterstelle Ihnen keine falschen Zahlen sondern der Statistik.
„Gen Y workers spend an average of 10.6 hours a day accessing social networking sites, news Web sites, blogs, Internet forums, and multimedia sharing Web sites, versus 5.6 hours reported by Boomers. “
Je nach Studie erhalten Sie andere Zahlen – aber durchschnittlich den Leuten 10,6 Stunden am Tag ist recht unrealistisch. Selbst ich als Power User im Bereich Social Media und Community Management (ist schließlich mein Job) schaffe wohl nie am Tag einen solchen Durchschnitt.
@Thorsten Hahn:
> Wenn ich mir meinen Abijahrgang betrachte, dann gibt es da viele Top-Kontakte. Aber diese Kontakte, dieses Netzwerk damals als Masse statt Klasse abzutun wäre töricht gewesen.
Gewachsenere oder validere Kontakte als diejenigen, mit denen wir zig Jahre die Schulbank drückten, gibt es kaum. Können Sie das von Ihren 30.000 Kontakten auch sagen? Mit Verlaub (und entschuldige die Übertreibung): Die sind so wertvoll wie meine 1.3 Mio. »Kontakte« im Münchner Telefonbuch.
Coming together is a beginning.
Keeping together is progress.
Working together is success.
Johannes F. Woll
@Johannes Woll: Der Vergleich mit dem Telefonbuch humpelt aber gewaltig. Ohne es zu wissen, behaupte ich einmal, dass jeder von Thorsten Hahns Kontakten schon mal zumindest von ihm gehört hat – was auf ihr Telefonbuch vermutlich nicht zutrifft. Und noch eine Vermutung: Wenn er einen dieser Kontakte anschreibt, wird dieser ihm mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit antworten. Also in irgendeinem Sinne weiterhelfen. Funktioniert das mit ihrem Telefonbuch genau so?
@Daniel Rettig, danke Ihnen, dem kann auch ich nichts mehr hinzufügen.